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Freitag, 15. Juli 2016

01x03 Nachwehen

Am nächsten Tag ging Angel mit einem Unwillen in die Schule, der es in sich hatte. Die ganze Nacht hatte sie nicht wirklich geschlafen, die Angst, irgendjemand könnte etwas wegen Jamie sagen, war einfach viel zu groß.
Den ganzen Abend war sie ihrem Bruder aus dem Weg gegangen, auch wenn er gehofft hatte, er könnte mit ihr sprechen. Immer wieder hatte er es versucht, war bei ihr jedoch auf Granit gestoßen.
An diesem Tag kam sie jedoch nicht wirklich an ihm vorbei. Er hatte sich breitbeinig vor der Haustür hingestellt, um sie ja nicht zu verpassen.
»Ich fahr dich in die Schule«, hatte er gesagt und das mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
»Ich fahr mit dem Bus«, hatte Angel trotz allem protestiert und wollte sich an ihm vorbei drücken, doch gegen seine Kraft kam sie nicht an.
»Jetzt wird nicht diskutiert, sonst kommst du zu spät. Ich fahr dich in die Schule«, antwortete er streng, hatte sie an der Schultasche gepackt und unsanft mitgezogen. Angel hatte nicht viel Wahl, als ihm zu folgen.
Cole packte seine kleine Schwester in das Auto, ging dann um das Fahrzeug herum und stieg auf der Fahrerseite ein. Angel hatte kurzzeitig überlegt, einfach abzuhauen, entschied sich dann jedoch auch anders. Sie hätte zwar ihre Engelfähigkeiten einsetzen können, aber wer weiß, ob sie so gewollt klappten. Also ergab sie sich ihrem Schicksal und ließ sich von ihrem Bruder in die Schule fahren. So schlimm konnte der Tag schon nicht werden.

Leider hatte sie in dieser Hinsicht wohl falsch gedacht. Kaum hatte sie das Schulgebäude betreten, waren alle Augen auf sie gerichtet. Angel stieg die Schamesröte ins Gesicht. Insgeheim wünsche sie sich, sie wüsste, was sich die ganzen Schüler denken würden. Im Grund war sie jedoch auch froh, dass sie es nicht wusste. Vermutlich würde es ihr nicht wirklich gefallen.
»Hey«, ertönte eine fröhliche Stimme, die ihr nur zu bekannt vor kam. Als sie in die Richtung sah, entdeckte sie Sarah, die ihr fröhlich zuwinkte. Toll, nicht nur, dass sie jeder wie eine Aussätzige musterte, nein, der Loser der Schule sah sie, wie es aussah, auch noch als Freundin an. Konnte der Tag schlimmer werden?
Ja konnte er. Musste Angel gleich danach feststellen, als ein junger, großgewachsener Mann auf sie zu kam. Er hatte längere blonde Haare, die etwas gelockt waren, braune Augen und schien etwa Mitte 20 zu sein. Er hatte Jeans und ein weißes Hemd an und an seiner Taille hatte er einen Waffengurt, der eindeutig gefüllt war.
»Angel Summers?«, fragte er, als er vor ihr stand und musterte zuerst Angel und dann ihren Bruder, der sich sofort vor ihr wie ein Bodyguard aufgestellt hatte und den jungen Mann nun ernst musterte. »Kommt drauf an, was Sie von mir wollen«, antwortete diese kampflustig und musterte ihn genauso ernst wie ihr Bruder.
»Detektive Connor«, stellte er sich vor. Ihm kam kein Lachen aus. Detektive? Angel wurde heiß und kalt zu gleich. Was wollte er von ihr? »Können wir uns unter vier Augen sprechen?«, fragte er dann noch und dabei musterte er vor allem ihren Bruder.
»Ich bin ihr Bruder. Ich will dabei sein«, antwortete Cole ernst.
»Ich will mit Ihrer Schwester alleine sprechen. Es tut mir Leid, aber ich kann Ihnen nicht erlauben mitzukommen«, antwortete der Polizist, dabei ließ er Cole nicht aus den Augen.
»Ist schon okay«, versuchte Angel ihren Bruder zu beruhigen, dann wendete sie sich an den Polizisten: »Ich werde mich mit Ihnen unterhalten.« Ihr war zwar nicht wirklich wohl dabei, doch sie wusste, dass sie sowieso nicht so ohne Weiteres aus der Sache raus kam. Sie wusste, dass es am besten war, es einfach schnell zu erledigen, damit sie es bald hinter sich gebracht hatte.

Angel hatte sich von dem jungen Detektive in ein leerstehendes Klassenzimmer führen lassen, das von den Lehrern an diesem Tag für die Verhöre zur Verfügung gestellt wurden. Das hatte der Polizist Angel erklärt, nachdem er hinter sich die Tür geschlossen hatte. Etwas nervös setzte sich das Mädchen auf einen der vorderen Stühle und sah dann Detektive Connor fragend an.
»Mir wurde gesagt, dass du gestern eine Auseinandersetzung mit Jamie Peters hattest, bevor er zu Boden ging«, begann der Polizist dann und setzte sich vor ihr auf den Tisch. Es war keine Frage, sondern eher eine Feststellung.
»Er hatte Sarah Barnes gequält. Ich wollte ihr helfen, aber er hat meiner Aufforderung nicht nachgegeben und hat mich auch noch bedroht«, antwortete Angel ihm wahrheitsgetreu. Ja sie hatte sich mit ihm angelegt, sie ließ sich nicht drohen, aber sie hatte ihn, entgegen der Behauptung der anderen Schüler, nicht angegriffen.
»Hast du ihn dabei tätlich angegriffen?«, kam nun die Frage des Polizisten, auf sie schon gewartet hatte.
»Nein. Ich hab ihn kein einziges Mal berührt. Wir haben uns gestritten, dann kam mein Bruder dazu und plötzlich ging er zu Boden. Ich habe ihn nicht einmal da angegriffen, sondern lief zuerst auf Sarah zu, die nach dem Angriff von ihm ebenfalls am Boden lag«, schilderte Angel den Vorfall und hatte wieder vor Augen, wie der Junge vor ihr auf den Boden sank. Sie sah den Schmerz in seinen Augen. Was hatte er bloß? Hatte Michael recht? War sie schuld, weil sie ihm den Tod gewünscht hatte? Aber sie wollte doch nicht, dass das wirklich geschah. Sollte sie es dem Polizisten sagen? Sie entschied sich dagegen. Entweder er hätte sie sofort verhaften lassen, oder er hätte sie einweisen lassen, weil er sie verrückt gehalten hätte.
»Wieso wird das überhaupt untersucht? Wurde darauf hingewiesen, dass es mit Gewalt passiert ist? Zumindest wie ich dabei war, ist nichts passiert, dann muss es davor gewesen sein. Weder ich noch mein Bruder, noch sonst jemand gingen auf ihn los. Das war gerade das, was auch mich echt geschockt hat.« Inzwischen konnte sich Angel nicht mehr halten und ihr rannen Tränen über die Wangen. Sie hatte das Alles doch gar nicht gewollt. Wenn sie jetzt wirklich schuld daran war, würde sie sich das nie verzeihen können. Auch wenn Michael ihr versichert hatte, dass Jamie noch am Leben war.
»Nicht wirklich, nein. Aber wir können uns sonst nicht erklären, wie es dazu gekommen war. Die Ärzte können uns nicht einmal sagen, was er wirklich hatte. Wir haben nur die Information bekommen, dass er tot und auf wundersame Weise wieder auferstanden war. Wie Jesus.«, meinte der Polizist und sah sie nun mit einem fragenden Blick an.
»Nur, dass Jamie nicht am Kreuz hing. Er hatte so nichts. Ihm hatte keiner was getan. Ich wüsste nicht einmal, dass er irgendeine Krankheit hatte. Aber vielleicht hatte er einen Herzfehler, von dem keiner was wusste? Vielleicht nicht mal er?«, fragte Angel und sah Detektive Connor verwirrt an.
»Daran hatten wir auch schon gedacht, aber das hatten die Ärzte negiert. Im Grunde gibt es soweit eh keinen Grund wirklich zu ermitteln. Immerhin scheint es eh auch kein Fremdeinfluss gewesen zu sein, aber wir wurden auf den Plan gerufen, weil uns mitgeteilt wurde, dass es hier zuvor Streit gab. Und wenn wir uns ganz ehrlich sind, ist es schon etwas komisch. Ein Junge stirbt ohne ersichtlichen Grund und steht dann plötzlich wieder auf, als wäre nichts gewesen.« Immer noch sah er Angel an, als könnte er so die Wahrheit erfahren. Als könnte er so erfahren, was mit dem Jungen geschehen war. Doch diese sah nun zu Boden und schwieg. Was sollte sie darauf auch sagen? Nichts. Michael hatte ihr zwar Einiges erklärt, wer sie war, was sie war und was sie bei Jamie bewirkt hatte. Aber er hatte ihr nicht gesagt was sie der Polizei sagen sollte. Ihr war zumindest klar, dass die Wahrheit hier nicht möglich war.
»Ich weiß ehrlich gesagt nicht was Sie von mir wollen. Ich habe Ihnen alles gesagt. Ich hatte mich mit ihm gestritten, weil er zuerst gegen Sarah und dann gegen mich gegangen war, aber ich habe ihm nichts getan«, verteidigte sich Angel erneut, nachdem sie von dem Polizisten immer noch durchdringend angesehen wurde. Die braunen Augen fixierten sie noch immer.
Wäre er nicht Polizist und würde sie gerade verhören, hätte sie ihn sogar wirklich gutaussehend gefunden. Nein, so stimmte das nicht ganz. Sie fand ihn gutaussehend, aber sie konnte diesen Anblick nicht wirklich genießen.
»Ich würde Ihnen wirklich gerne helfen, aber ich wüsste nicht wie«, fügte sie dann noch hinzu, nachdem er gar nichts dazu zu sagen hatte, sondern sie nur weiter anstarrte. Er seufzte.
»Vielleicht kannst du mir noch etwas zu dem Vorfall beim Krankenhaus erzählen?«, fragte er dann erneut. Angel gab es einen Stich im Magen. Das Nächste, das sie nicht wirklich erklären konnte. Sie wusste schon, wie es geschehen war, aber wie sollte sie es einem normalen Menschen erklären?
»Ich weiß nicht, wovon sie sprechen«, stellte sie sich dumm.
»Tu nicht so als wüsstest du nicht, wovon ich spreche. Es ist überall in den Medien. Ein Amokläufer, der einem Polizisten entkommen ist und die wundersame Rettung eines Arztes, der eigentlich das erste Opfer sein sollte«, nun war der Polizist schon etwas ungehaltener. Er mochte es nicht, wenn man mit ihm spielte und Angel spielte sich im Moment eindeutig mit ihm. Bei seinem Wutausbruch zuckte Angel zusammen. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Außerdem hatte sie noch nicht Nachrichten gesehen, somit war es für sie neu, dass das alles schon im Fernsehen lief.
»Ich war einfach nahe dran, hab es gleich gesehen und einfach sofort reagiert. Das ist alles«, meinte Angel dann mit einem Schulterzucken. Sie wusste selbst wie dämlich und erbärmlich es klang, aber was sollte sie ihm anderes sagen?
»Du warst recht schnell«, stellte der Polizist gelassen fest. Inzwischen schien er sich wieder im Griff zu haben.
»Ich bin Cheerleaderin. Ich bin gut trainiert«, sagte sie ihm nun dasselbe wie am Vortag dem Arzt. Ob der Polizist das auch mit so viel Humor nehmen würde, war sie sich nicht so sicher.
»So eine gut trainierte Cheerleaderin hab ich noch nie gesehen«, meinte der Polizist und sah sie wieder mit seinen braunen Augen an. Er zwinkerte nicht einmal und ließ sie nicht aus den Augen. Angel ließ den Kopf gesenkt und sagte darauf nichts. Egal was sie sagte, es klang unglaubwürdig und im schlimmsten Fall würde sie sich nur in irgendeine blöde Situation reden und das wollte sie vermeiden. »Na gut. Wenn dir noch irgendetwas einfällt, sei es bezüglich deines Schulkollegen oder des Vorfalles beim Krankenhaus, lass es mich einfach wissen«, meinte der Polizist dann, nachdem er merkte, dass er aus Angel nichts mehr herausbekommen würde. Er zog aus seiner Hosentasche eine Visitenkarte und hielt sie der Schülerin hin. Diese starrte die Karte an, als würde sie sich so in Luft auflösen, als sie es jedoch nicht tat, nahm sie sie an sich und sah dann wieder in die braunen Augen des Polizisten. Zugern hätte sie ihm alles gesagt, aber wie hätte sie es ihm auch erklären sollen?

»Hey, alles klar? Was hat er gefragt?«, ertönte die Stimme von Sarah und kurze Zeit später war sie schon neben Angel. Nachdem sie von Detektive Connor entlassen worden war, hatte sie sich auf den Weg in ihre Klasse gemacht. Sie war jedoch nicht weit gekommen, ohne von der Mitschülerin entdeckt zu werden.
»Ob jemand Jamie angegriffen hat. Genau genommen wollte er wissen, ob ich es war, da ich mich mit ihm gestritten hatte«, antwortete Angel, nachdem sie überlegt hatte, wie viel sie der Schülerin sagen sollte. Sie hatte das Gefühl, dass Sarah sie als Freundin sah, doch das waren sie nicht. Sie hatten bisher nie etwas miteinander zutun gehabt und Angel hatte keine große Lust etwas daran zu ändern. Alles sollte so bleiben wie es vor dem Vorfall war.
»Aber du hast ihn ja nicht einmal angegriffen«, meinte Sarah und sah sie mitleidig an.
»Hab ich ihm dem Detektive auch gesagt und er war mit dieser Antwort zufrieden«, antwortete Angel und hoffte, dass sie Sarah damit los war, doch sie hatte falsch gedacht. Diese lief weiter wie ein Hündchen hinter ihr her. Angel stöhnte leise. Merkte dieses Mädchen wirklich nicht, dass sie hier fehl am Platz war?
Um Sarah zu zeigen, dass sie mit ihr nicht mehr weiter diskutieren wollte, ignorierte sie sie und sah sich neugierig um. Dabei fiel ihr Blick auf die umstehenden Schüler, die auf ihre Handys sahen und dann zu ihr. Als ihr Blick auf Angel fiel, begannen sie hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln. Was hatten sie gesehen? Sie wusste es nicht, aber bei einem war sie sich sicher. Es musste um sie gehen.
Abrupt blieb sie stehen, als sich ihr jemand in den Weg stellte. Jamie. Hatte er noch immer nicht genug? Wollte er schon wieder Stunk?
»Verdammt. Jamie. Ich muss in die Klasse. Was ist los?«, fragte Angel genervt und versuchte so teilnahmslos wie möglich zu klingen.
»Wer bist du?«, fragte er und starrte sie dabei an, als wäre sie eine Außerirdische.
»Angel Summers?« Ihre Antwort klang eher wie eine Frage. Was wollte er eigentlich von ihr? Er wusste doch, wer sie war. Jeder hier kannte sie. Das war auch nicht schwer als Cheerleaderkapitän.
»Sorry, ich hab die Frage falsch gestellt. Was bist du?«, fragte er nun. Dabei fischte er aus seiner Hose sein Handy heraus, wischte mit seinem Finger ein paar mal über sein Handy und hielt es ihr dann vor die Nase.
Angel war etwas verwirrt, sah aber dann auf das Display um zu sehen, was er ihr zeigen wollte und erstarrte bei dem was sie sah. Vor ihr spielte ein Video ab.

Der Täter entriss sich dem Polizisten, zog dessen Waffe und richtete sie bei seiner Flucht auf den Arzt, der gerade in dem Moment aus dem Krankenhaus trat und sich verwirrt umsah. Die Blicke der beiden Männer trafen sich, als der Amokläufer auf Rider zielte.
Angel stand etwas abseits, eigentlich viel zu weit von dem Arzt weg um ihm zu helfen, riss sich von dem Sanitäter frei und schneller als man schauen konnte war sie schon beim Arzt, hatte sich auf ihn gestützt und ihn auf den Boden gezogen. Genau im richtigen Moment. Hinter ihm bohrte sich das Projektil in die Wand des Krankenhauses.

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